Kanzleiorganisation: Ist die Assistenz wirklich noch ein Muss?

Kanzleiorganisation: Ist die Assistenz wirklich noch ein Muss?

  • Kanzleiorganisation

Aus der herkömmlichen Sichtweise von Kanzleien ist die Position der Rechtsanwaltsassistenz kaum wegzudenken. Ihre Aufgabe war und ist die Erledigung all der administrativen Aufgaben im Büro, für die der Anwalt keine Kapazitäten hat. Neben allgemeinen Schreibarbeiten gehören dazu vor allem organisatorische Tätigkeiten, die Buchhaltung sowie die Korrespondenz mit Mandanten und Gerichten.

Doch diese Rolle verändert sich zunehmend. Für Anwälte gehört die Sicherstellung einer effizienten Kanzleiorganisation zu den dringendsten Fragen, um die eigene Kanzlei erfolgreich für die Zukunft aufzustellen. Neben Aspekten wie der Optimierung von Arbeits- und Kommunikationsprozessen gehört dazu auch die Mitarbeiterorganisation. Ein wichtiger Bestandteil davon ist die Definition der zukünftigen Rolle der Kanzleiassistenz. Sicher scheint zu sein, dass die Assistenz auch in Zukunft ihre Daseinsberechtigung nicht verliert. Ihr Aufgabenspektrum wird sich jedoch wandeln müssen, damit sie auch künftig effizient eingesetzt werden kann.

Hauptgrund dafür sind die Umwälzungen, die die Rechtsberufe bereits jetzt und auch in Zukunft erleben werden. Einer Studie über die Zukunft des Anwaltsberufs zufolge, kommen auf den Berufsstand einschneidende Veränderungen zu. Die Studie untersuchte die Auswirkungen wirtschaftlicher, demografischer, gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen auf den Rechtsdienstleistungsmarkt und prüfte, ob und wie Anwälte und Kanzleien für die Veränderungen am Markt aufgestellt sind. Im Zuge der rasanten technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen stehen Anwälte und Kanzleien demnach vor vielerlei Herausforderungen, welche sich direkt auf die Kanzleiorganisation auswirken:

Deutlich zunehmender Wettbewerbsdruck – Einem nur moderaten Umsatzwachstum steht eine weiter stark ansteigende Zahl von Anwälten und Kanzleien gegenüber. Die Folgen: Überkapazitäten und sinkende Vergütung samt wachsendem Kostendruck.

Steigende Vielfalt der Kanzleien – Die zunehmende Spezialisierung und die Ausbildung weiterer Kanzleiformen, wie beispielsweise der zeitliche Zusammenschluss von Einzelanwälten für bestimmte Projekte oder Themen, verändert den Kanzleimarkt. Neue Kanzleiformen bieten aufgrund ihrer günstigeren Kostenstruktur eine ernstzunehmende Konkurrenz für große und internationale Anwaltsfirmen.

Schrumpfendes Wissensmonopol der Anwälte und Kanzleien – Digitale Dienstleister stellen ihr Know-how teilweise kostenlos oder sehr günstig online zur Verfügung. Die zunehmende Internetnutzung von Mandanten ermöglicht neue virtuelle Geschäftsmodelle mit standardisierten Angeboten, oftmals offeriert von Versicherungskonzernen oder Start-ups.

Technologische Entwicklungen – Ins Internet abgewandertes Wissen zwingt Anwälte und Kanzleien zur Spezialisierung und Steigerung von Service- und Beratungsleistungen. Die Entwicklung eines digitalen Rechtsverkehrs erfordert eine Umstellung in der Kanzleiorganisation samt kostenintensivem Ausbau von EDV und IT – oder deren Auslagerung an externe Dienstleister.

Die Folgen:

  • mehr Arbeitsaufwand
  • geringere Erträge
  • höhere Flexibilität bei Arbeitsmodellen erforderlich
  • Trend zum 24/7-Service

Entwicklung der Assistenz in Kanzleien

Die Ausbildung klassischer Rechtsanwalts- und Notarfachangestellter geht seit Jahren zurück. Dies liegt vor allem daran, dass deren Aufgaben zunehmend von Uni-Absolventen mit unterschiedlichsten Abschlüssen (Bachelor- und Master, bzw. Wirtschaftsjuristen und Quereinsteiger mit Fachwissen) oder angestellten Anwälten übernommen werden. Hinzu kommt, dass viele der Büroarbeiten, die bislang von Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten durchgeführt wurden, künftig automatisiert (z.B. durch Spracherkennungs- und Schreibsoftware oder durch Buchungsprogramme für RVG-Abrechnungen) erfolgen werden.

Es sind somit moderne Softwarelösungen, welche die Kanzleiorganisation und den Bedarf an Assistenz einschneidend verändern. Die Verwendung von Anwalts- und Kanzleisoftware wird zunehmen und dabei unterschiedlichste Aspekte der Kanzleiorganisation übernehmen. So werden buchhalterische Aufgaben komplett von Softwaresystemen abgewickelt. Auch die Aktenführung wird in naher Zukunft vollständig digital ablaufen. All dies steigert die Effizienz der Kanzlei, verringert jedoch den Aufgabenbereich der klassischen Assistenz.

In der zunehmenden Digitalisierung liegt jedoch gleichzeitig die Chance dieses Berufszweigs, denn künftig wird auch in Kanzleien der Bedarf an beruflicher Qualifikation im IT-Bereich stark wachsen.

Neben den Herausforderungen bietet der technologische Fortschritt also auch Chancen, da virtuelle Kanzleien, digitaler Rechtsverkehr und -beratung sowie neue technische Entwicklungen zusätzliche Geschäftsmodelle ermöglichen. Mittels Spezialisierung oder zusätzlicher Angebote können sich Anwälte und Kanzleien hier ein wettbewerbsfähiges Profil verschaffen, mit dem sie der wachsenden Konkurrenz und anderen Herausforderungen erfolgreich gegenübertreten können. Das setzt jedoch voraus, dass sich auch das Berufsbild der Assistenz ändert: Weg von bloßer Schreibkraft hin zum Generalisten für alle Fragen rund um das Daily Business, verbunden mit profunden Kenntnissen in Bezug auf die moderne digitale Welt. Geschieht dies, wird die Assistenz auch in Zukunft eine prägende Rolle in der Kanzleiorganisation spielen.